Mittwoch, 15. Februar 2012

Töchter der Sünde von Iny Lorentz

Nun habe ich doch endlich wieder einmal ein gutes Buch zur Rezension erwischt. Der fünfte Teil der Wanderhuren-Reihe bietet alles, was einen historischen Roman des Münchner Autorenpaares Iny Lorentz ausmacht; Spannung, Intrigen, tapfere Helden, Liebe, Leidenschaft und eine hervorragende recherchierte historische Grundlage dazu.
Obwohl der Roman trotzdem nicht ganz ohne Fehler auskommt, wird mit „Töchter der Sünde“ eine Lektüre geboten, die jedem der sich für abenteuerliche Geschichten vor mittelalterlicher Kulisse interessiert, nur zu empfehlen ist.
Obwohl es sicherlich interessant ist, die einzelnen Protagonisten bereits aus den früheren Bänden wiederzuerkennen, ist es nicht zwingend von Nöten diese alle gelesen zu haben. Da sich „Töchter der Sünde“ vermehrt Falko Adler, dem Sohn der einstigen Wanderhure, widmet, während Marie selbst nur noch eine nebensächliche Rolle spielt könnte der neue Band grundsätzlich genauso gut für sich alleine stehen. Die Geschichte ist in sich schlüssig und äusserst spannend zu lesen.

Zur vollständigen Rezension geht es hier.

Die Wanderhuren-Reihe:
1. Die Wanderhure
2. Die Kastellanin
3. Das Vermächtnis der Wanderhure
4. Die Tochter der Wanderhure
5. Töchter der Sünde
6. Die Rache der Wanderhure



Montag, 13. Februar 2012

Das Glashaus oder Ewig lockt die Zeitung des Anderen

Einmal mehr wartete ich heute mehr oder weniger geduldig im Wartehäuschen auf den verspäteten Zug. Dicht an dicht drängten sich immer mehr Leute in den spärlich beheizten Glaskasten, der trotz frostigem Durchzug und Überfüllung noch immer die bessere Alternative zum Warten in der Eiseskälte ganz im Freien darstellte. 

Mit jedem Knall der alles anderen als Sachte zufallenden Tür, zuckte nicht nur der frisch Eingetretene unweigerlich zusammen, sondern auch alle bisherigen Insassen des Glashauses rückten ein weiteres Stückchen zusammen. Schon bald trennte schliesslich nur noch eine handbreit den vor Kälte Bibbernden von dem Zitternden zur Linken und dem Schlotternden auf der rechten Seite. 

Gerade als die gesamte Meute der Zusammengepferchten hoffnungsvoll der Lautsprecherdurchsage lauscht, die von irgendwo durch das undichte Glas schalt, erhebt sich ein weiteres Geräusch über die leisen Worte. Direkt neben mir kramt eine ältere Dame unter Winden und mit lautem Geraschel ihre Zeitung aus dem Handtäschchen. Nicht weniger laut – und es ist beachtlich, wie viel Lärm durch eine einfache Zeitung entstehen kann in einem Raum voller schweigender Gestalten – beginnt sie diese kurz darauf zu entfalten. Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht um eine handliche Pendlerzeitung, wie sie früh morgens jeder zweite bei sich trägt, sondern um eine der „seriösen“ Tageszeitungen, die sich insbesondere durch ihr exorbitantes Format auszeichnen. 

So landet die Hälfte einer Zeitungsseite auf dem Schoss des Banknachbarn zur Rechten der Dame, und auch ich kriege meine Ecke ab. Etwas verstohlen blicke ich mich um, schliesslich liest man nicht in der Zeitung des Nachbarn mit. Scheinbar interessiert betrachtete ich die Bahnhofsuhr, die mir bloss anzeigte, dass ich nun bereits zehn endlos erscheinende, saukalte Minuten hier verbrachte. Dann wanderte mein Blick im Glashaus selbst umher. Mein Gegenüber sass vornüber gebeugt da und studierte die Rückseite der Zeitung. Seine beiden Sitznachbarn taten es ihm etwas weniger auffällig gleich. Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass auch der direkt neben der Frau sitzende Herr sich verstohlen einem Artikel in dem Tagblatt widmete. 

Und schliesslich wanderten meine Augen weiter zur Zeitung selbst. 
Was stand denn da? Das hörte sich ja ganz interessant an. 
Und ehe ich mich versah, las auch ich klammheimlich mit. 


Dienstag, 7. Februar 2012

Leseprobe "Durch die Dunkelheit"

Eine illustrierte Kurzgeschichtensammlung mit sechs vielseitigen Erzählungen.


Auszug aus "Der Baum"

Lange schon steh ich da. Seit jeher bin ich an ein und denselben Fleck gebunden. In meinem ganzen langen Leben habe ich mich nie auch nur einen einzigen Meter weit fortbewegt. Kein einziges Mal habe ich einen Schritt getan. Manchem mag dies sicherlich sonderbar oder gar langweilig erscheinen, doch so war ich nun mal. Und was das Wichtigste dabei ist, ich bin auch ganz zufrieden damit, immer an ein und demselben Ort zu stehen.
Nicht dass ich als Baum gross eine andere Wahl gehabt hätte! Aber schliesslich hatte ich hier einst meine Wurzeln geschlagen.  Vor langer, langer Zeit – es viel mir allmählich schwer, mich an die genaue Jahreszahl zu erinnern – war ich als winziges Samenkorn vom Wind hierher getragen worden. Die alles behütende Erde hatte mich aufgenommen und in ihr war ich schliesslich als grüner Schössling herangewachsen.
Inzwischen war ich natürlich längst fest verankert in der Umgebung und die anderen Bäume, die jungen Sträucher, das kurzlebige Getreide und selbst das aufmüpfige Gras, begegnete mir mit grossem Respekt. Diesen hatte ich mir schliesslich auch mehr als redlich verdient. Nicht nur dass ich nicht irgendein ganz gewöhnlicher Baum war. Nein! Ich war schliesslich eine Linde. Hinter meinem stämmigen Stamm verkrochen sich die jüngeren Bäumchen gerne Schutzsuchend wenn ein gewaltiger Sturm über das Land jagte und die Jünglinge zu entwurzeln drohte. Auch kleine Menschlein suchten sich bei Wind und Wetter immer wieder mal Schutz unter meinem prächtigen Blätterdach und verharrten an mein warmes, hölzernes Fleisch gepresst, bis der Regen nachliess.
Aus den Gesprächen dieser sonderbaren, geradezu mickrigen Wesen, konnte ich entnehmen, dass die meisten ihrer Spezies die wärmende Sonne bevorzugten. Dabei würde ihnen etwas Regen ganz gut tun, bei ihrer schmächtigen Gestalt. Aber offenbar liessen sie ihre beiden jämmerlich kleinen Wurzeln, die sie zu allem zu in komische lederne Wurzeleimer steckten, die sie wohl Schuhe nannten, lieber austrocknen. Mir soll es recht sein, denn ihre kurzlebige Gattung interessierte mich nicht sonderlich.
Ich war da natürlich klüger. Schliesslich bin ich ja eben, wie bereits erwähnt, eine Linde. Und Linden sind bekanntlich gewitzt und überaus intelligent. Hierbei stellte auch ich keine Ausnahme dar.
Insbesondere während des drückend heissen Sommers streckte ich beinahe gierig – gierig zumindest für einen Baum – meine herzförmigen Blätter aus, um das erfrischende Nass aufzufangen. Ich mochte das Geplätscher des Regens um meine Äste und nun ja… schliesslich bedurfte auch meinereiner hin und wieder einer gehörigen Dusche.
Nicht das ich gestunken hätte. Auf gar keinen Fall. So etwas passiert uns Bäumen natürlich nicht. Nein, nein, ganz im Gegenteil. Unser aromatisch, holziger Duft mutet gar äusserst betörend an. Und im Frühling erst, wenn meine Blüten blühen! Es gibt kaum etwas Besseres. Aber eine kleine Erfrischung tut auch uns gut, besonders an einem warmen Sommertag.
Aber diese Menschlein sehen dies wohl anders. Sobald sich auch nur die ersten schwarzen Wolken am Horizont aufbäumen und es ein wenig beginnt zu regnet, fangen sie an zu rennen.  Anscheinend glauben sie so dem Nasswerden entkommen zu können. Manche führen aber auch seltsame Stöcke mit sich, die sie dann urplötzlich, wie durch Zauberei erblühen lassen, so dass sie ein rundes, meist farbiges Blätterdach über sich spannen können. Etwas seltsam finde ich dies schon, scheint es sich dabei doch nur um ein einziges riesiges Blatt zu handeln, das nach dem Regen auch gleich wieder verdorrt.
Menschlein sind schon höchst sonderbare Gewächse! Da kann ich nur meine belaubten Zweige Schütteln.



Auszug aus "Durch die Dunkelheit"

14. Oktober 1371

Bäume und Sträucher huschten an mir vorüber während ich mich durch das dichte Unterholz schlug. Wie klauenbesetzte Hände schienen Äste und Zweige sich nach mir auszustrecken, sich in Rock und Haut festzukrallen und mich nach allen Kräften an einem vorankommen hindern zu wollen.

Ich wusste nicht mehr wie lange ich schon durch den Wald eilte. Sekunden schienen sich zu Stunden hinzuziehen, aus Minuten wurden Tage. Jedes Gefühl für Zeit und Raum war mir abhanden gekommen. Ein zittriger Fuss setzte sich vor den anderen, ohne noch einen Gedanken an ein warum und wohin zu verschwenden. Klebriger, nasser Schlamm spritzte um meine Füsse und besudelte meine geschwollenen Beine. Bereits begann das Regenwasser in meine alten, schäbigen Lederstiefel zu dringen. Aber was störte es mich noch? Nun war alles egal. Das Schicksal hatte längst seinen Lauf genommen und ich war zu seinem machtlosen Werkzeug geworden, das wie ein Blatt im Wind hin und her gewirbelt wurde ohne sich dagegen wehren zu können.


Erneut durchschnitten Blitze den nächtlichen Himmel über mir. Das plötzliche, grelle Licht blendete meine Sicht und mein klitschnasser Rocksaum verhedderte sich um meine Beine. Beinahe wäre ich gestolpert. Halt suchend klammerte ich mich am nächstbesten Baum fest, welcher sich dunkel und drohend neben mir aus dem Erdreich Richtung Himmel empor streckte. Erst jetzt, wo ich stillgestanden war, merkte ich, wie erschöpft ich eigentlich war. Wie eine tonnenschwere Last überkam mich mit einem Mal die Müdigkeit, die ich zuvor kaum gespürt hatte oder aber erfolgreich aus meinem Bewusstsein verbannt hatte, wie so vieles andere auch.

Keuchend und nach Atem ringend verharrte ich und horchte hinaus in die Nacht. Das monotone Plätschern des Regens und das wehklagende Heulen des Windes waren um mich und schienen die ganze Welt in ihren unbändigen Klauen festzuhalten. Es gab nur noch den Sturm, die Dunkelheit und mich selbst. 

 



Durch die Dunkelheit von M. J. Scribare mit Illustrationen von Sarah A. Friedli
Durch die Dunkelheit - Kindle e-Book
Durch die Dunkelheit - e-Book (pdf-Format)
Durch die Dunkelheit - Print-Version